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Herma - die frau ohne flügel

Uraufführung am 10.09.2015 im „Theater im Viertel“, Saarbrücken (D)

weitere Vorstellungen:
11.-19. September 2015
26.-27. Februar 2016
20.-21. Mai 2016
15. Oktober 2016 im Rahmenprogramm der „Wochen der Seelischen Gesundheit“ des KISS, in Saarbrücken.

Handlung

Herma will nirgendwohin und erwartet keinen Besuch. In einem alten Haus irgendwo, hat sie sich eingerichtet. Sie ist allein an diesem Ort, bis auf ein paar Hunde, die sie des Nachts hört. Was sie ahnt, sich dessen jedoch erst im Laufe der Zeit immer sicherer wird, ist, dass sie der letzte Mensch auf Erden sein könnte. Niemand scheint mehr da zu sein.

Die Auflösung normaler, stabilisierender Strukturen für unser tägliches Mensch-Sein ist das Fundament dieses Stückes. Ich folge damit einer Fragestellung, die nicht neu ist. Allerdings mutet das Thema Allein-Sein in unserer mediatisierten vernetzungswütigen Welt unzeitgemäß an, aber das ist es nicht. Was geschieht, wenn meine Existenz nicht gespiegelt wird? Ich frage mich, ob wir nicht viel zu sehr an der Oberfläche schwimmen, obwohl wir wissen, dass die Perlen tief am Grunde liegen. Ich widme dieses Stück all jenen, die trotz oder aufgrund aller Möglichkeiten allein sind. Eveline Sebaa, 2015

Hintergrund

Die Auflösung normaler, stabilisierender Strukturen für das tägliche Mensch-Sein ist der Ansatz/das Fundament dieses Theaterstückes. Ich betrachte es als Weiterführung der Tradition, sich diesem Thema anzunähern, im Sinne von Geschichten wie Kaspar Hauser oder "Die Wand" von Marlen Haushofer.

Was bleibt, wenn kein Telefon mehr klingelt, keine eMails ankommen, niemand nach einem fragt oder zu Besuch kommt. Was geschieht mit den Gedanken, den Gefühlen, wenn es niemanden gibt, der sie spiegelt. Das Allein Sein sich äußerlich manifestiert, nicht nur physisch.

Der Mensch als soziales Wesen, im Begriff, seine Sozialisation auf digitale Medien mehr und mehr zu konzentrieren, agiert pseudo-sozial, die Grenzen zwischen realer und digitaler Nähe zueinander werden fließend und die Veränderung der Kommunikation, die soviel schneller, quasi direkter ist, führt nicht zu mehr Tiefe, sondern zu mehr Oberfläche. Sind wir durch unsere Möglichkeiten des Vernetzt - Seins nicht auch gezwungen, uns diesem Zug anzuschließen, wenn wir darin sitzen wollen?

Dieses Stück ist eine Reflexion über die unzähligen Möglichkeiten der Kommunikation, deren Ursprung die Kommunikation mit sich selbst ist und den daraus resultierenden Sehnsüchten und Bedürfnissen nach geteiltem Inhalt, nach dem Gefühl: Ich bin existent, weil ich ein Gegenüber habe, das dies bestätigt.

Ich verstehe, weil du verstehst. Ich bin, weil du bist.

Ist das nicht gegeben, wird die Existenz über kurz oder lang in einen anderen Zustand übergehen und diesem wollen wir unsere Arbeit widmen, dem (Allein) Sein an sich.

Bezug zu Hermes

Hermes überbrachte Botschaften, deren Sinn er verstand. Er war weit mehr als ein Bote, er war Überbringer von Botschaften, musste verstehen, übersetzen. Daraus leitet sich ab, dass eine Botschaft nur gut an ihr Ziel gelangen kann, wenn der Bote sie sorgsam auf den Weg bringt und über notwendiges Wissen verfügt. Das ist mein erster Ansatzpunkt für Fragen nach unseren Kommunikationsmöglichkeiten. Beherrschen wir sie oder sie eher uns, da uns das nötige Wissen zum Umgang mit Ihnen fehlt? Sind wir so schnell wie der technische Fortschritt es uns abverlangt?

Die Götterfigur des Hermes ist unglaublich vielseitig, vielschichtig und ergiebig für eine Suche nach einer Figur, die allein mit sich ist als Spiegel unserer heutigen Zeit.

Der Mythologie nach ist er nicht nur Götterbote, sondern auch Erfinder der Weissagung aus einem Würfelspiel oder Entwickler des griechischen Alphabets, hier findet man die Wichtigkeit der Sprache, was ein immerwährender Punkt in der Konzeption meiner Arbeit ist.

Er wird oft als schelmisch und gewitzt dargestellt und seine Nähe zur Alchemie als Gott der Wissenschaften ist insofern sehr interessant, als das er Namensgeber war für ein Gefäß, das so abzuschließen ist, dass nichts hinein oder heraus kann, also ´hermetisch´ verschlossen wird.

Dieses Bild ist ein Motiv für die Situation, in der sich Herma befindet.

Der wissenschaftliche Begriff der Hermeneutik ist ebenfalls auf ihn zurückzuführen, es geht um Erklären und Verstehen und das ist eine belastbare Brücke für Gedankenspiele in theatraler Form.

Sein Name wird auf das griechische Wort "Herma", (Felsen, Stein, Ballast) zurückgeführt, das sich auf die Steinpfeiler am Rande der Wege beziehen soll, die zur Kennzeichnung heiliger Orte aufgestellt wurden.

"Herma" ist eine Botin, jedoch verfügt sie nicht über Hermes´ Kraft der Flügel, sondern muss ihre Kraft im Grunde ihres Wesens suchen.

Textbeispiel

freilaufende hunde

herma: freilaufende hunde hörte ich des nachts. sie kamen im rudel in unser dorf und durchkämmten die vorgärten. aus dem mangel heraus, keinen geliebten menschen zu haben oder weil sie ihn verloren hatten, rotteten sich diese hunde zusammen, um ihrer natur zu entsprechen, sich eines platzes sicher zu sein - überlegte ich, liegend in meinem morschen bett mit dem muffig riechenden bettzeug und ich beneidete sie um die möglichkeit, sich ihresgleichen anzuschließen.

I heard dogs roving at night. The pack entered our village and combed the gardens. Having realized that there was nobody left for them to love, or perhaps having lost their loving masters, the dogs had formed a pack, as is their nature, a group within which each animal had its place – so I thought as I lay under the musty blankets of my slowly rotting bed. I envied them the companionship of their fellow creatures.

Jessica Sinapi and Eveline Sebaa are
associated Artists of Ekeby
ear.productions.
Ekeby. International Research Center for Contemporary Arts

dank an:
Hans-Auler GmbH
Concept Store Freudenschrei
H.Huhmann
Ekeby, M.Wagenbach
Theater im Viertel, Saarbrücken